Queenstown
Meine letzte Tour vor den verschärften Maßnahmen wegen des Coronavirus, welches mir keine Touren mehr erlaubte, ging nach Queenstown. Das ist ein besonderes Stadtgebiet in Singapore, weil es Pilotcharakter für die Verbesserung der Wohnsituation für viele Menschen hatte. Die qualvolle Wohnraumenge in der Stadt, besonders in Chinatown, sollte beendet und durch die Entstehung eines komplett neuen Viertels entspannt werden. Wie schon im Blogpost vom 12.4.2020 erwähnt, wurde Queenstown als erste Satellitenstadt Anfang der 1950er Jahre vom Singapore Improvment Trust (SIT) geplant. Das Projekt wurde am 27.9.1953 nach Queen Elizabeth II. benannt, die ein Jahr zuvor die britische Krone übernahm. Als Land wurde bisher genutzte landwirtschaftliche Fläche des beschaulichen Boh Beh Kang Village vorgesehen, wo sich abseits der Stadt 300 Haushalte befanden und eine Schule für 240 Schüler.
In dem Gebiet sollten 11.000 Wohnungen für 70.000 Menschen entstehen. Bisher waren die Bemühungen des SIT am starken Bevölkerungswachstum gescheitert. So wurden seit den 1920er Jahren in Tiong Bahru über 30 Jahre lang Wohnungen gebaut, die genau wegen der Bevölkerungsanstiegs keine sichtbaren Entlastungen der kritischen Wohnraumsituationen brachten. In Queenstown sollte also eine ganz neue Stadt mit 5 Stadtbezirken entstehen.
In jedem Stadtbezirk waren Einrichtungen, wie Schulen und Sportanlagen vorgesehen.
Seit den 1990er und 2000er Jahren finden umfangreiche Umgestaltungen zur Modernisierung des Gebietes statt, auf die ich gleich am Start meiner Tour treffe. Denn das Former Driving Test Centre, welches am 23.2.1969 eröffnet wurde, exisiert nicht mehr. Im Centre konnte man seine Führerscheinprüfung ablegen. Das Gebäude stand schon seit 1995 leer, da das Führerscheinzentrum in ein anderes Gebäude umgezogen war. Auf dem Gelände befindet sich nun eine moderne Wohnanlage. Deshalb war das erste Ziel das „Princess House“. Es war die erste Zentrale des Housing and Development Board (HDB), der nach der Übernahme der Selbstverwaltung gegründet wurde. Der HDB war die Folgeorganisation des von der vorigen Kolonialregierung geleiteten SIT und übernahm auch das Projekt in Queenstown. Das Princess House wurde schon 1957 fertiggestellt. Hier entstanden dann ab 1960 die genialen Wohnungseigentum-Modelle von Singapore, die bis in die heutige Zeit so erfolgreich sind. Das „Home Ownership“-Schema mit Nutzung des Rentenfonds wurde in diesem Gebäude erdacht. Prinz Philip, Herzog von Edinburgh und heutiger Gatte der Queen, besuchte 1965 das Gebäude und ließ sich ebenso wie hochrangige Politiker die Wohnungsbaupläne erklären.
Gleich daneben befindet sich an der Ecke Alexandra Road und Dawson Road das ehemalige Gelände der Hock Lee Bus Company. Von Streikaktionen der Mitarbeiter gingen im Jahr 1955 gewaltige Unruhen aus und prägten Lee Kuan Yew und viele andere Politiker in Singapore (siehe Blogpost vom 26.7.2019). Diese Unruhen machten deutlich, welche gesellschaftliche zerstörerische Kraft die Kommunisten haben. In Erinnerung dieser Unruhen entstanden weitreichende Gesetze. An der Stelle des Busdepots befindet sich heute ein mehrstöckiges Parkhaus.
Weiter geht es zur Secondary School (früher „Technical School“), welche 1956 als erste technische Schule eröffnet wurde. Es legte den Grundstein der erfolgreichen Bildungspolitik. Gerade das hohe Ausbildungsniveau im technischen Bereich schaffte Kompetenzen, die für die Ansiedlung von Industrieunternehmen von entscheidender Bedeutung war. Ab 1965 wurden auch Vorbereitungsklassen für ein Studium an der Singapore Polytechnic, eine Art Fachhochschule, eingerichtet. Ab 1971 gab es die ersten weiblichen Schüler. Gleich neben dem Schulgelände befindet sich die Lee Kong Chian Gardens School. Es ist in Singapore die erste Schule, die ausschließlich für geistig behinderte Kinder eingerichtet wurde. Die Eröffnung fand 1969 statt. In der zugehörigen Behindertenwerkstatt finden diese Menschen eine Beschäftigung. Diese produzierte in der Vergangenheit zum Beispiel für die Firma Philips. 1981 wurde die Kapazität durch einen Erweiterungsbau von 60 auf 248 Schüler erhöht.
Nächste Station ist die Public Library in Queenstown. Es war die erste Zweigstelle der Nationalbibliothek und wurde am 30.4.1970 eröffnet. Es war der Beginn einer erfolgreichen Regionalisierungspolitik der Bibliothek. Im architektonisch-interessant gestaltenden Gebäude mit viel Tageslicht gibt es 280 Leseplätze bei 200.000 Druckerzeugnissen. 1978 wurde eine Klimaanlage ergänzt. 2003 wurde das Haus mit dem Einbau von Fahrstühlen, einem neuen Beleuchtungssystem und dem Bau der Cafeteria umfangreich renoviert und modernisiert.
Gleich daneben befindet sich ein historischer Ort in der Geschichte des Gesundheitswesens von Singapore. Hier befindet sich die erste Poliklinik der Insel. Im Januar 1963 eröffnet, bot es den Bewohner von Queenstown einen besseren Zugang zu medizinischer Versorgung. Hier wurden auch die kostenlosen Impfprogramme für Kinder durchgeführt. 1984 wurde der Komplex durch eine Zahnklinik erweitert. Am Ende des zentralen Platzes gegenüber der Poliklinik befanden sich zwei wichtige Kinos: das Venus Theatre und das Golden City Theatre. Beide wurde 1965 eröffnet und kamen zusammen auf 1.200 Sitzplätzen. Als in den 1980er Jahren die TV und Videokonkurrenz zu groß wurde, mussten beide Kinos 1984 schließen. Lagen die Nettoeinnahmen des Golden City Theatre im Jahr 1979 noch bei 70.000 S$, so sanken sie im Jahr 1984 auf 20.000 S$. Heute beherbergen beide Gebäude bibeltreue Kirchen, einerseits die „The Fisherman of Christ Fellowship“ und andererseits die „Church of Our Saviour“. Fotos sind wegen der umfangreichen Bauarbeiten auf dem Platz leider nur schwer möglich. Dann geht es auf die andere Seite der Commonwealth Ave zu weiterer wohnungspolitischen Geschichte von Singapore. Denn hier entstanden die HDB-Terrassenhäuser. Diese zweistöckigen Reihenhäuser boten den Bewohner im Gegensatz zu den Wohnblöcken ein wenig Land für einen Garten. Diese Häuser wurden noch von der SIT geplant. Gleich daneben befinden sich die ersten Wohnblöcke (Blk 45/48/49), die von dem HDB im Oktober 1960 fertiggestellt wurden. Bei den 7 Stockwerke hohen Gebäude lag der Fokus auf ein kostengünstiges Bauen. Es wurden neben der Nutzung von vorgefertigten Teilen auch langsamere Fahrstühle eingebaut. Ziel war es, dass sich auch Menschen im untere Einkommensbereich die Wohnungen leisten konnten.
Nach einer Stärkung im Mei Ling Hawker Centre ging es weiter zu den HDB First Point Blocks (Blk 160/161). Es waren die ersten Wohnanlagen, die ohne die typischen langen Flur-Balkone errichtet wurden. An einem Flur waren somit nur 4 Wohneinheiten angebunden, was die Privatsphäre verstärken sollte. Mein modernes Appartementhaus in Woodlands basiert übrigens auch auf diesem Prinzip. Außerdem sollten die beiden Point Blocks auch architektonisch Abwechslung bringen. Sie wurden 1970 eröffnet und waren jeweils 20 Stockwerke hoch. Nicht weit entfernt ist eine weitere HDB-Architektur zu bestaunen: Der erste Curved Block (Blk 168A). Dieser wurde 1973 fertiggestellt und erhielt aufgrund seiner zweiflügeligen gebogenen Architektur den Namen „Butterfly Block“. Damit war nun endgültig mehr Ästhetik im HDB-Wohnungsbau eingezogen.
Gegenüber befindet sich das Neighbourhood Police Centre. Auf das erfolgreiche lokale Konzept für die Polizeistationen bin ich ja schon im Blogpost vom 12.3.2020 eingegangen. Diese Station war die erste ihrer Art nach dem japanischen Koban-System, was als Vorbild für die Organisation der Polizei in Singapore galt. Die Station wurde am 20.12.1997 eröffnet und beschäftigte 150 Polizisten. Das heutige Gebäude wurde 2002 zusammen mit der Singapore Civil Defence Force (Feuerwehr) bezogen. Davor war das Neighbourhood Police Centre in der Commonwealth Av stationiert.
Mit einer Busfahrt in den Norden des Stadtbezirks gelange ich zur ersten Flatted Factory. Das ist ein großer Gebäudekomplex, in dem sich mehrere kleinere Produktionsfirmen einmieten. Das spart Kosten für solche Zulieferfirmen, weil Teile der Infrastruktur gemeinsam genutzt werden können. Diese modellhafte erste Gebäudeeinrichtung wurde im Mai 1965 vom Entwicklungsminister Lim Kim San eröffnet. 30 Betriebe mieteten sich ein. Nach dem Bau entstanden in Singapore weitere 38 solcher Flatted Factories. Zum Abschluss meiner Tour besuchte ich die nicht weit entfernte Shuang Long Shan Wu Shu Ancestral Hall. Das Gebäude ist wegen der Coronavirus-Maßnahmen geschlossen, aber es befindet sich dort der letzte Hakka-Friedhof in Singapore. An diesem Ort wurden die Yin Fo Fui Kun Familienclanmitglieder begraben, welche aus der kantonesischen Region Jia Ying stammen. Der Clan hat von 1926 bis 1969 die Ying Xin Schule betrieben. Über 2.700 Grabsteine zählt der Friedhof. Die runden roten Gebilde sind für die Verbrennung der Gaben für die verstorbenen Ahnen gedacht. Heute sieht man zwischen den Wohnblöcken ebenfalls meist metallische Tonnen, in denen ein Feuer flackert. Wir haben Qing Ming Zeit, in denen die Chinesen traditionell Gaben für ihre verstorbenen Vorfahren verbrennen.
Aus zeitlichen Gründen kann ich leider eine weitere architektonische Besonderheit in Queenstown nicht besichtigen. Es sind die Colonial Terraces, die als Häuser ab 1930 von der britischen Kolonialregierung für das britische Personal der Militäreinrichtungen gebaut wurden. Diese Häuser werden heute gern von Expats gemietet. Auch die Black&White Bungalows, die zum gleichen Zweck errichtet wurden, muss ich aus Zeitgründen auslassen. Sie haben ihren Namen von der weißen Häuserfarbe und den schwarzen Fensterrahmen.
Dafür bekomme ich jede Menge moderner Wohnhäuserblocks in Queenstown zu sehen. Ich gehe am modernen SkyTerrace@Dawson und SkyVille@Dawson Komplex vorbei, welche im Rahmen des HDB sozialen Wohnungsbaus entstanden sind und das Konzept der Sky Gardens auf verschiedenen Ebenen besitzen. Ein solches Konzept habe ich ja schon mit den Besuch des Pinnacle@Dawson Hochhauses gesehen (Blogpost vom 19.3.2020). Die Modernisierung des Stadtgebietes ist in vollem Gange. Eine interessante Architektur wurde beim „The Interlace Condo“ angewendet, wo man Wohnblöcke „wild“ aufeinander gestapelt hat.
Hier die Eindrücke von der ersten Satellitenstadt von Singapore: Queenstown