Chinatown Teil 1


Chinatown ist in Singapore der Ort, wo das wichtigste kulturelle Erbe entstand. Die Chinesen bilden die größte Volksgruppe in Singapore. Die chinesische Kultur ist auch der dominierende Einflussfaktor auf die Entwicklung des Staates. Die wachsende Bedeutung des Handelstützpunkts Singapore und die Verarmung vieler Regionen im südlichen China fand zeitlich übereinstimmend statt, weshalb viele Chinesen mit der Ansiedelung in Singapore ein besseres Leben erwarteten. Wenn man sich nun vorstellt, dass das Leben vieler Übergesiedelten sehr hart war, mit den Transportarbeiten im Hafen, als Rikschafahrer, Hawkerkoch und dazu die Lebensverhältnisse im engen Chinatown mit 5qm Wohnung für eine ganze Familie und trotzdem sich so viele Chinesen auf die beschwerliche Reise machten, so kann man sich erst diese Not der Menschen im kaiserlichen China vorstellen. Am Anfang des letzten Jahrhunderts waren ein Drittel der chinesischen Bewohner Singapores  abhängig vom Opium. Kriminelle Strukturen waren unter den Chinesen fest verankert. Wie es dann dieses Land zu dieser Blüte und zu diesem kompletten Mentalitätsumschwung gebracht hat, ist ein bewundertswerter Kraftakt. Der Fleiß, die Beharrlichkeit und der ausgeprägte Geschäftssinn der Chinesen gehörte zweifellos dazu.
Man kann in Chinatown viel sehen, wie alte Shophouses, viele kleine Läden, Hawker Centre, Restaurant, viele Bars, Kunstläden usw. Naja, der Touristenstrom möchte bedient werden. Ich esse übrigens bei meinen Besuchen in Chinatown immer in Hawker Centre, einmal auch gleich neben dem Stand von Hawker Chan, der als erster Hawker 2016 einen Michelin Stern bekommen hat.



Ich habe mir in Chinatown das Geschäft von Eu Yan San, einer der ältesten chinesischen Medizinhändler, die ehemalige erste „Tiger Balm“-Fabrik und die frühere Rikscha-Station angeschaut. Hauptziel meiner Tour(en) in Chinatown war aber eine Reise zu den Ursprüngen der sozialen Community. Und somit habe ich die Häuser der Clan Associations besucht und mehr über diese Organisationen erfahren. Diese Vereine sind das Gegenteil der Secret Societies, welche kriminelle mafiöse Strukturen bildeten und weit verbreitet waren. Die Clan Associations haben dagegen ab dem frühen 19. Jh. die wichtige soziale Funktion übernommen, in der neuen Umgebung den Migranten zu helfen und die eigene kulturelle Identität zu erhalten. Das erklärt auch, warum sich diese Clans nach den Namen bzw. der chinesischen Herkunftsregion oder Dialekten gliedern. Die Clan Associations wuchsen schnell als wichtige gesellschaftliche Institutionen heran. Wohlhabende Clanmitglieder, wie erfolgreiche Kaufleute oder Ärzte spendeten viel Geld für diese Organisationen. Diese gründeten Kulturgruppen, Friedhöfe, Schulen und sogar Krankenhäuser. Über 300 Clan  Associations wurden in Singapore registriert. Wohlfahrt ist in Singapore heute nicht mehr der Fokus bei dem vorhandenen breiten Wohlstand, aber die Bewahrung der chinesischen Traditionen. Manche Vereine sind heute die einzige Institution, die bestimmte traditionelle Musik- oder Tanzformen überhaupt noch fortführen. Allerdings müssen sich heute die Organisationen ganz schön anstrengen und viele Modernisierungsschritte unternehmen, um diese Traditionen auch weiter zu betreiben. Denn die heutige Jugend zockt und chattet lieber am Smartphone, als ein traditionelles Musikstück der alten chinesischen Kultur einzustudieren.



Nun, welche Clan Associations suche ich auf? Hier eine kleine Auswahl. Die Ying Fo Fui Kun Association wurde schon 1822 gegründet, deren Mitglieder aus fünf Bezirken der Region Jia Ying (Provinz Guangdong) stammen. Neben Schulstipendien versucht sie die Traditionen der Khek-Community zu bewahren. Die Eng Choon Hway Kuan Association ist die größte Organisation in Singapore und wurde 1867 gegründet. Die Mitglieder der Nanyang See's Association siedelten erst nach dem 2. Weltkrieg nach Singapore. Die Räume des 1947 gegründeten Vereins werden gerade renoviert. Die Kwong Wai Siew Li Si She Shut Association hat deswegen einen so langen Namen, weil während der Regierungszeit von Tongzhi (1862-1875, Qing-Dynastie in China) einige Li-Familienmitglieder immer zwischen Hongkong und Singapore reisten, aber immer wieder von Singapore zurückfuhren. Deshalb schlossen sich die Familien Kwong (Region Guangzhou), Wai (Region Huizhou), Siew (Region Zhaoqing) und andere zu einer Association zusammen. Die Siong Leng Musical Association wurde 1941 gegründet, um die Kunstform der Nanyin und Liyuan Oper zu erhalten. In den 1970er Jahren unterstützte der Geschäftsmann Teng Mah Seng die Organisation und rettete somit diese Kulturform. Er finanzierte die Veröffentlichung der Textbücher und bezahlte für besondere Talente Opernkurse in China. Die Gan Clan Association wurde 1966 in der Tradition von Gan Eng Seng gegründet. Dieser hatte 1885 in Singapore eine Schule gegründet. Die Gan-Familie besitzt eine große Historie, so war Yan Hui (521-481 v. Chr.) ein Schüler von Konfuzius und Yan Zhen Qing (709-785) ein großer Kalligraphie-Meister. Die Tung On Wui Kun Association tut sich mit der besonderen Förderung der Kantonesischen Oper hervor. Der Ee Hoe Hean Club wurde von chinesischen Hokkien-Geschäftsleuten 1895 gegründet. Er ist der älteste Millionärsclub in Singapore. Bedeutung errang der Club mit der umfangreichen Finanzierung der revolutionären Aktivitäten um Dr. Sun Yat Sen (siehe auch Blogpost vom 11.2.2020). Dem Club gehörte auch Dr. Lim Boon Keng an, den ich auch schon öfters erwähnt hatte und der sich vor allem für ein Verbot von Opium einsetzte. Die Amoy Association wurde 1938 gegründet, um den chinesischen Kampf gegen die Japaner in der Region Xiamen zu unterstützen. Heute gibt es in der Organisation Gruppen der Nanyin Musik oder der Peking Oper. Die Poon Yue Association wurde 1879 von Hoo Ah Kay („Whampoa“) gegründet. auf dessen Spuren trifft man immer wieder, siehe Bedeutung bei der Gründung des Botanischen Gartens. Seine Blumentöpfe kann man ja dort im Heritage Centre noch bestaunen (Blogpost vom 25.2.2020). Die Association unterstütze Migranten aus seiner Heimatregion Whampoa (von der er auch seinen Spitznamen erhalten hat). Nach dem Krieg gründete die Organisation eine Schule für unterprivilegierte Kinder in Singapore. Die Kong Chow Wui Koon Association ließ als erste Mitglieder mit andere chinesischen Dialekten in der Organisation zu, was heute fast zur Normalität gehört, da ich in der Hok San Association sogar mit einem indischen Mitglied gesprochen habe.



Apropos Hok San Association. Nachdem quasi alle Ausstellungen, Museen oder Besichtigungsmöglichkeiten bei den Association wegen des Coronavirus geschlossen waren und ich schon dadurch recht niedergeschlagen durch Chinatown trottete, hatte ich dann doch noch Riesenglück. Denn bei der besagten Hok San Association war gerade Trainingszeit für den chinesischen Löwentanz. Und ausgerechnet diese Association besaß die älteste Lion-Dance-Tradition in Singapore. Markenzeichen der Gruppe ist der besondere Drumming-Style als Musikperformance zum Tanz. Ich verbrachte eine große Zeit beim Training, auch wenn mir die Musik noch stundenlang den Gehörkanal blockierte, ich stand genau hinter der Trommel/Becken-Musikkombination. Deshalb gleich meine Vorwarnung: Beim Sehen meines kleinen Videos gegen Ende den Ton nicht so laut stellen. Aber es war ein tolles Erlebnis, die Leute sind echt nett, hatten nichts dagegen, dass ich da lange zuschaute und zum Schluss bekam ich noch eine Tasche Andenken mit.

Hier die Eindrücke von Chinatown Teil 1: Chinatown Teil 1