Little India


Anders als Chinatown und Kampong Glam war Little India kein Siedlungsgebiet nach dem Jackson-Plan von 1823 für eine bestimmte Ethnie. Den Namen hat das Gebiet auch erst in den 1970/80er Jahren erhalten und war vorher nur als Serangoon bekannt. Die Ursache für die Besiedlung und Entwicklung des Gebietes war eine wichtige Hauptstraße zu den weiter nördlich liegenden Plantagen. Viele indisch-stämmige Einwohner siedelten sich hier an, da es hier das Bras Basah-Gefängnis gab und viele der Insassen Inder waren. Die Familienangehörigen residierten deshalb in der Nähe. Durch Kalkvorkommen gab es hier zunächst viele Ziegeleien. Außerdem war das Gebiet das Zentrum der Rinderzucht, die man als Transporttiere für die Plantagenprodukte benötigte. Das Geschäft war von Indern dominiert und konnte sich auch deshalb hier so gut etablieren, da die Sümpfe im Gebiet wenig andere Landwirtschaft zuließen. Mit der Entwässerung der Region und dem Einsatz von Lastwagen verschwand dann auch in den 1930er Jahren die Rinderzucht. Außerdem war das Gebiet von Serangoon als Zentrum des Pferdesports bekannt.
In den 1920er Jahren gab es mehrere Wohnbauprojekte im Rahmen des öffentlichen Wohnungsbaus, da die Wohnzustände in den Shophouses sehr beengt war. Im oberen Stockwerk eines Shophouses wohnten zwischen 10 und 12 Familien.
Ich bin mehrmals im bunten Little India unterwegs und starte meine Tour bei den Shophouses, wo die Singapore Malayalee Association ihren Sitz hat. Diese wurde 1917 von Indern aus der Region Kerala gegründet. Die Malayalee sind eine eigene Sprachgruppe und diese Organisation versucht die traditionelle Kultur am Leben zu erhalten. Dann komme ich am früheren Haus von Tan Teng Niah vorbei. Es ist wegen seiner bunten Gestaltung sehr auffällig. Der 1826 geborene Geschäftsmann hatte eine Süßwarenfabrik, wobei er aus dem angelieferten Zuckerrohr den Süßstoff extrahierte und der Abfall als Brennstoff nebenan in einer Gummifabrik eingesetzt wurde.
Ich komme an einigen Wandgemälden vorbei, die Bezug auf das Leben im Viertel haben. Außerdem will ich ein paar bunt-angemalte Kuhinstallationen besuchen, die aber an der anvisierten Stelle nicht vorhanden sind. Auch die Angestellten des Heritage Museums wussten nicht wo sie sind. Ich habe die bunten Kühe dann zusammen mit bunten Elefanten zufällig auf einer etwas entfernteren Wiese entdeckt. Die bunten Elefanten waren wohl noch ein Überbleibsel aus der Elephant Parade in der Haji Lane im Kampong Glam.
In der indischen Kultur spielt Gold eine wichtige Rolle, weshalb sich an der Serangoon Road ein Goldschmuckladen an den anderen reiht. Dann komme ich zum Sitz der Singapore Gujarati Society. Sie wurde 1912 für die vegetarisch-lebenden Gujarati Community gegründet und hat sich ab 1956 in diesem Verein organisiert. Sie fördert die Sprache und Kultur der Gujarati. Das Ursprungsgebiet dieser Inder liegt im Westen von Indien.
Dann geht es zum Hauptziel meiner Tour, dem Indian Heritage Centre. Ich weiß, vielen ist das moderne mächtige Gebäude architektonisch in der traditionellen Shophouse-Umgebung ein ästhetisches Verbrechen. Ich finde das allerdings nicht, da die Glasfassade das Gebäude gar nicht so erdrückend erscheinen lässt. Hinter den getönten Scheiben sind außerdem bunte Wandmalereien angebracht. Das Indian Heritage Centre besitzt ungefähr 450 Artefakte, wobei die Ausstellung mit vor allem religiösen Stücken bis zurück ins 1. Jh. beginnt, da schon die damaligen südindischen Königreiche Handelsbeziehungen zu Südostasien hatten. Auch das südostasiatische Reich Srivijaya definierte sich als See- und Handelsmacht vom 7. bis 13 Jh., welches intensiven Handel mit China, aber auch mit Indien und Arabien tätigte. Gujarati- und Tamil-Händler unterhielten danach Handelsbeziehungen mit den Malacca-Sultanaten.
Hinter einem aufwendig geschnitzten Türportal starrt einem Iravan an, einer indischen Gottheit aus dem indischen Epos Mahabharata. Dann wird noch die Göttin Minakshi dargestellt auf einem Gemälde mit Verzierungen aus Gold und Edelsteinen, was dann ein Relief ergibt. Weiterhin werden einige Gegenstände, wie Schmuck und Stoffe, der indischen Einwanderer vom 19. bis 21. Jh. gezeigt.
Eine Etage tiefer geht man auf die Tätigkeiten der indischen Einwanderer in Singapore ein. Dieses Wirken wird auch am Anfang der gesamten Ausstellung in einer Breitwandprojektion mit Einblendungen von historischen Fotos sehr gut dargestellt. Einen interessanten Effekt baut man immer wieder ein: so lösen sich aus alten Fotos die Menschen und laufen aus dem Bild, was die Lebendigkeit der Fotos erhöht. Dann werden Werkzeuge der Goldhändler gezeigt, die ja wie schon erwähnt zahlreich in Little India in einer langen Tradition vertreten sind.
Weiter hinten im Ausstellungsraum kommt man auf den zweiten Weltkrieg zu sprechen. Dieser wird in der Videoprojektion auch mit Ton und Tanzelementen beeindruckend dokumentiert. In der Ausstellung wird besonders auf die Aktivitäten von Subhash Chandra Bose eingegangen, der hier in Singapore aktiv war. Dieser hatte sich dem Unabhängigkeitskampf Indiens gegen die Kolonialmacht Großbritannien gewidmet und stand im 2. Weltkrieg somit auf der Seite Japans und Deutschlands, also den Aggressoren. Er warb intensiv in Singapore unter den indisch-stämmigen Einwohner für seine Indian National Army, mit welcher er den Burmafeldzug der Japaner unterstützte. Soldaten wurden in Japan ausgebildet.
In Singapore wurden mit der Machtübernahme der PAP den kulturellen Werten der indische Gemeinschaft wieder großen Raum eingeräumt. Der gemeinsame Kampf gegen die koloniale Besetzungsmacht Britannien verband. Lee Kuan Yew nahm an den Tamil-Festivals teil und sprach am 30.5.1964 auf einer Kondolenzveranstaltung für den verstorbenen indischen Premierminister Jawaharlal Nehru. Bekanntester und bedeutendster Inder in Singapore ist aber Sinnathamby Rajaratnam, der zu den Gründungsvätern des unabhängigen Singapore zählt. Er hatte von 1959 bis 1988 bedeutende politische Ämter inne und war Kulturminister, langjähriger Außenminister (15 Jahre), Arbeitsminister und stellvertretender Premierminister.
Eine Etage weiter unten besuche ich dann die Sonderausstellung „From the Coromandel Coast to the Straits: Revisiting Our Tamil Heritage“, auf die ich schon im Blogpost vom 24.11.2019 hingewiesen hatte. Die Involvierung der Tamilen in die Historie des indischen Einflusses in Südostasien ist eng damit verbunden, dass die Tamilen im Süden Indiens und in Sri Lanka an wichtigen Handelsschifffahrtswegen siedelten. Das Zentrum des Chola-Reichs lag an der Koromandelküste und der Einfluss reichte bis nach Südostasien. Die ausgestellte Stele mit religiösen Schriftzeichen in der südindischen Grantha-Schrift aus dem 4. Jh. stammt von der Insel Borneo. Ein für mich sehr interessantes Objekt ist das in einer 3D-Projektion gezeigte Schriftdokument aus Kupferplatten. Dieses wurde von dem Chola-König Rajaraja Chola I. erstellt. Es erwähnt die Beziehung des Chola-Reiches zu Südostasien. Im 11. Jh. startete das Reich eine großangelegte Invasion und brachte große Teile von Indonesien, Malaysia und Thailand unter tamilische Herrschaft. Dem Singapore Stone, der erste schriftliche Fund in Singapore, wird deshalb auch tamilischen Einflüssen zugeordnet. Im 15. und 16. Jh. war die Koromandelküste bekannt für den Export von Textilien. Erst im 19. Jh. ging der Einfluss der tamilischen Händler in Südostasien zurück.
Dann werden einige wichtige tamilische Familien von Singapore und deren Historie vorgestellt. So auch die Ramasamy-Familie, die 1886 aus Südindien in Singapore angekommen ist. Er wurde bei der Straits Settlements Police Force als Sergeant eingestellt. Eine der vier Kinder heiratete einen Transportbetreiber mit Pferden und Rindern. Die Tochter der beiden, also die Enkelin von  Ramasamy, wurde eine bekannte Musikerin. Sie heiratete einen reichen tamilischen Händler aus Kuala Lumpur. Mittlerweile lebt die sechste Generation der Familie in Singapore.
Nach dem Besuch des Indian Heritage Centre warte ich einen starken Regenschauer ab und begebe mich an alten bunten Shophouses vorbei Richtung Mustafa-Centre, einem riesigen 24h-Kaufhaus. Dort gegenüber befindet sich das älteste vegetarische Restaurant in Singapore. Doch das Ananda Bhavan Vegetarian Restaurant stellt sich als eine große Enttäuschung heraus. Es wurde 1924 eröffnet und kann meiner Meinung nach gern bald wieder schließen. Das Ambiente wirkt schmuddelig, das indische Personal war extrem unfreundlich und der servierte Saft wässrig mit wenig Frucht. Und alles ziemlich teuer, wenn man das leckere Essen an anderen Orten zum Vergleich heranzieht.
Hier im Norden von Little India besuche ich noch andere Orte. So gehe ich zum roten Fortuna Hotel, das an der Stelle steht, wo am 15.3.1986 das Hotel New World plötzlich einstürzte. Eines der schlimmsten Katastrophen von Singapore. Eine mehrtägige Rettungsaktion wurde gestartet, um die verschütteten und eingeschlossenen Überlebenden aus den Trümmern zu bergen. 17 Menschen konnten gerettet werden. Das Unglück forderte 33 Tote. Eine dann fieberhafte Suche nach der Ursache begann und es wurde festgestellt, dass bei der Berechnung zur Konstruktion der Tragesäulen das Eigengewicht vergessen wurde. Nach diesem Unglück wurden die Vorschriften zur Kontrolle von Konstruktionsplänen verschärft und der Zivilschutz ausgebaut.
Dann komme ich noch an dem Gebäude der Singapore Indian Development Association (SINDA) vorbei. Das ist deswegen eine wichtige und interessante Institution, da es versucht, indische Schüler durch Nachhilfe und anderen Lehrangeboten auf ein höheres Lernniveau zu bringen. Solche Institutionen gibt es auch bei den Malayen und Chinesen. Die Gründung solcher Nachhilfeschulen wurde durch Lee Kuan Yew ausgelöst, der bemerkte, dass malayische Schüler meistens schlechter als chinesisch-stämmige Schüler abschnitten, auch weil das Lernen im muslimischen Kulturkreis nicht so eine hohe Bedeutung in der Kindererziehung hatte (siehe Blogpost vom 16.11.2019). Um hier einen Ausgleich zu schaffen, regte er zusammen mit malayischen Verbänden die Gründung einer solchen Nachhilfeschule an. Die anderen Volksgruppen zogen dann ihrerseits nach.
Gleich um die Ecke befindet sich das größte tamilische Sprachzentrum. Es wurde 1954 gegründet und unterrichtet nicht nur die tamilische Sprache, sondern bildet auch Lehrer für die Tamil-Sprache aus. Die Straße weiter unten kann man sehr schön die alte und neue Shophouse-Architektur nebeneinander bewundern.
Dann besuche ich noch das Ellison Building, welches leider sehr zerfallen ist und von einem großen Bauzaun umgeben ist. Hoffentlich zur Restaurierung. Es ist ein halbrundes Gebäude mit jeweils einem Türmchen am Ende. Es wurde 1924 von Isaac Ellison gebaut, der 1898 als jüdischer Einwanderer kam. Den Davidstern hat er in die Jahreszahl am Gebäude integriert. Er spendete viel Geld für die Genesung der verletzten britischen Soldaten im 1. Weltkrieg. In den 1940er Jahren befanden sich zahlreiche vegetarische Restaurants im Gebäude. Schräg gegenüber steht das schicke Shopping Centre Tekka Place. An diesem Ort gab es früher einen wichtigen Frischelebensmittelmarkt, der von 1915 bis 1982 existierte.
Zuletzt schau ich mir die Geschichte des Kandang Kerban Hospitals (KK-Hospital) an. In dem früheren berühmten Krankenhaus ist heute die Land Transport Authority (LTA) untergebracht. Ich besuche die dortige Mobility Gallery, dazu im nächsten Blogpost mehr. Das Krankenhaus wurde 1860 gebaut und war ab 1924 eine Entbindungsklinik. Nach der Errichtung des Erweiterungsbaus im Jahr 1953 war es die größte Entbindungsklinik der Welt. Die Klinik schaffte es auch ins Guinness Buch der Rekorde: Im Jahr 1966 wurden hier 39.835 Kinder geboren, was einem Durchschnitt von über 109 Kindern pro Tag entspricht. 1997 wurde ein völlig neuer Komplex neben dem alten Klinikgelände errichtet, welchen ich mir abschließend noch ansah.

Hier die Eindrücke von Little India: LittleIndia