Katong
Der Stadtteil Katong zeigt ein anderes Singapore. Während moderne Hochhausanlagen die meisten Stadtbezirke dominieren, hat sich in Katong eher eine niedrige Bebauung gehalten. Das liegt auch an der Vergangenheit des Gebietes, in dem sich vor allem reiche Handelskaufleute und Unternehmer niedergelassen haben. Damals noch mit unmittelbarer Nähe zum Meer, wobei dieses durch Landgewinnung an der Küste nicht mehr gegeben ist.
Da sich unter den reichen Kaufleuten auch viele europäisch-stämmige Familien befanden, ist es nur logisch, die kulturelle Identität der Eurasier in diesem Gebiet abzubilden. Und somit ist mein Haupttourziel die Eurasian Heritage Gallery im großzügigen Gebäude der Eurasian Association Singapore. Ein überaus freundlicher Empfangschef geleitet mich zur Ausstellung und gibt mir eine Orientierung.
Eurasier werden die Menschen genannt, die asiatische und europäische Vorfahren haben. Aufgrund der historischen Gegebenheiten mit den zahlreichen europäischen Handelfamilien aus Portugal, Niederlande und England hätte ich gedacht, dass es sehr viele Eurasier in Singapore gibt. Aber zu meiner Überraschung sind es nur 0,4 Prozent der Bevölkerung, was darauf schließen lässt, dass die wohlhabenden Familien stark darauf geachtet haben, dass innerhalb der gleichen Volksgruppe geheiratet wurde. Auch, und dazu komme ich später noch einmal zurück, hat der Krieg und der Abzug der britischen Militärtruppen in der ersten Hälfte der 1970er Jahre zu einer Auswanderungswelle unter den Eurasiern geführt.
Edwin Tessensohn initiierte die Gründung der Eurasian Association in Singapore im Jahr 1919. Zu Beginn des 2. Weltkrieges hatte die Organisation 770 Mitglieder. Nach dem Krieg wurde versucht die Organisation wieder aufzubauen. Jedoch stand die Nationenbildung mit der nationalen Identität im unabhängigen Singapore im Vordergrund. Man konnte die Mitgliederzahl zwar bis 1973 auf 855 Personen steigern, mit dem Abzug der britischen Truppen begann aber der Aderlass. 1986 gab es nur noch 91 Mitglieder. Ab 1989 nahmen dann junge Mitglieder die Geschicke der Organisation in die Hand und strukturierten den Verein um. Die neuen Angebote stießen auf Interesse und die Mitgliederzahl konnte bis 1992 auf 1300 erhöht werden. Außerdem unterstützte die Regierung verstärkt Bemühungen, um das kulturelle und historische Erbe zu bewahren. Durch staatliche finanzielle Unterstützung konnten entsprechende Räumlichkeiten des Eurasien Community House geschaffen werden.
In Singapore siedelten sich Eurasier in einigen bevorzugten Straßenzügen an, insbesondere die Infrastruktur mit Schulen und kirchlichen Einrichtungen bewog sie dazu. Solche Gebiete gab es um die Church of Saints Peter & Paul und um die St Joseph's Church, vom Farrer Park bis Newton, dort wo die Serangoon Road auf den Kallang River trifft, in Balestier und eben entlang der Ostküste. Manche Häuser wurden für Angestellte der Kolonialregierung gebaut, in welche viele Eurasier einzogen. Denn sie wurden aufgrund ihrer interkulturellen Fähigkeiten gern als Regierungs- bzw. Verwaltungsangestellte genommen. Eine besondere Wohnanlage gab es in der Haig Road, wo das sogenannte holländische Quartier „Kampong Serani“ aus kleinen Reihenhäuser bestand, die einen gemeinsamen Hof und Gemeinschaftstoiletten besaßen. Die 22 eurasischen Familien bezahlten in den 1950er Jahren eine monatliche Miete von jeweils 20 Dollar. In den frühen 1970er Jahren wurde die Anlage abgerissen. Heute steht dort der moderne Wohnkomplex „Dunman View“. Gemeinschaftlich wird dort aber nur noch die Poolanlage genutzt.
Eurasier haben bei der Beschäftigung in Singapore immer eine herausragende Stellung bezogen. So waren Anfang des 20. Jh. viele von Ihnen aufgrund der excellenten englischen Sprachkenntnisse Lehrer. Diese Stellung verstärkte sich noch, als im unabhängigen Singapore Englisch als Schulsprache festgelegt wurde. Bis dahin gab es zahlreiche chinesische Schulen, die nur auf chinesisch unterrichteten. Auch als Beamte waren Eurasier wegen der Sprachkenntnisse gern gesehen und sie füllten auch Positionen aus, die von migrierenden Briten hinterlassen wurden. Als Beispiel wurden Dokumente des Beamten Steven Rodriguez gezeigt. Dieser hat 1939 als Lehrling im Beamtenwesen begonnen. Er war dann Aufseher und 1957 Hawker Inspector. Bis 1964 agierte er als Senior Hawker Inspector und wechselte ins Gesundheitsministerium, wo er 5 Jahre lang für Bereiche der öffentlichen Gesundheit verantwortlich war. Sein letztes Gehalt lag über 1100 Dollar pro Monat. Dazu muss man wissen, dass eine Dreiraumwohnung im Jahr 1969 einen Kaufpreis von nur 6000 Dollar hatte. Es war also ein stattliches Gehalt.
Eurasier arbeiteten auch oft in der Telefonvermittlung. 1955 machte die erst 18jährige Theresa Maureen Pereira den ersten internationalen Telefonanruf nach London. Mit den Worten „Hello London, this is Singapore calling“ schrieb sie in Singapore Telefongeschichte.
Eine besondere Rolle in der Geschichte von Singapore spielte auch der Arzt Benjamin Sheares. Durch seine Methoden sank die Sterblichkeit schwangerer Frauen erheblich. Seine neuen Operationstechniken waren wegweisend. Als enger Vertrauter von Lee Kuan Yew war er nach seinem Berufsleben als Arzt und Kanzler der Universität für zehn Jahre der zweite Präsident von Singapore.
Ebenso eine herausragende Persönlichkeit war der Anwalt Edmund Barker. Als Eurasier hatte er portugiesische, irische, japanische, schottische, malaiische und deutsche Vorfahren. Er war 24 Jahre lang Justizminister und einer der Konstrukteure des erfolgreichen Rechtssystems. Seine Fähigkeiten führten dazu, dass er zeitweise gleichzeitig andere Ministerien für einige Zeit führte.
Im Bereich der Sicherheitsapparates wird John Le Cain erwähnt, der 1963 zum ersten asiatisch-stämmigen Polizeikommissar ernannt wurde. In der schweren Zeit der Konfrontasi musste er einige indonesische Terroristen ausfindig machen. So ermittelte er auch zum Bombenanschlag am McDonald House (siehe Blogpost vom 10.3.2020), was zur Verhaftung der Attentäter führte.
Einer der bekanntesten Eurasier in Singapore ist der Sportler Joseph Schooling, der als erster Sportler von Singapore 2016 eine Goldmedaille im Schwimmen bei den Olympischen Spielen gewann.
Im zweiten Weltkrieg waren es viele Eurasier, die als Kriegsgefangene der Japaner an der Thailand-Burma-Eisenbahn (Death Railway) bauen mussten. Da während der Besatzungszeit eine große Hungersnot in Singapore herrschte, drängten die Japaner 300 eurasische Familien zum Umzug nach Bahau, südöstlich von Kuala Lumpur und versprachen bessere Lebensbedingungen. Es stellte sich aber heraus, das die Bedingungen dort sehr hart waren. Die landwirtschaftliche Pionierarbeit und das Klima mit unzähligen Malariafällen und anderen Tropenkrankheiten forderte viele Todesopfer. Ein Viertel der 2.000 Menschen starben.
In diesem Zusammenhang wurde auch ein interessanter Fall gezeigt. Der Japaner Mamoru Shinozaki war vor dem Krieg Presseattaché in Singapore und hatte eine herausragende Position während der japanischen Besatzungszeit. In dieser Position verhalf er vielen Chinesen zur Flucht, was für ihn lebensgefährlich war. Er schaffte es, den Umzug nach Bahau ohne die gefürchtete japanische Militärpolizei Kempeitai zu organisieren.
In einem letzten Raum werden Alltagssachen der Eurasier gezeigt, wie Kleidung, religiöse Reliquien, Küchengeschirr und es wird auf die Tradition in Musik, Tanz und Sport eingegangen. Eine eigene Sprachwelt hat sich ab dem 16. Jh. von den portugiesischen Einwanderen gebildet, die ihre Sprache mit der einheimischen Sprache vermischt haben. Holländer und Briten nutzten diese Vermischung dann auch. Ein „Vielen Dank“ auf Kristang, wie diese Mischsprache genannt wird, heißt dann „Muitu merseh“.
Nach dem Besuch der Eurasian Heritage Gallery sah ich mir das Stadtviertel Katong an. Neben modernen Reihenhäusern, alten Shophouses und bunten Reihenhäusern mit Treppenaufgang sind vor allem die bunten Peranakan-Häuser auffällig. Peranakan bezeichnet Menschen mit verschiedenen ethnischen Vorfahren. In diesem Fall sind es meist Familien mit malaiischen Frauen und chinesischen Männern. Diese Einflüsse bildete eine eigene kulturelle Identität mit Mischformen der verschiedenen Kulturen. Bei den folgenden Fotos achte man insbesondere auf ein Haus, wo das Auto im Vorhof in der Farbe nach dem Haus abgestimmt wurde, welches Pink gestrichen ist (bei Minute 5:30).
Hier die Eindrücke von Katong und der Eurasian Heritage Gallery: Katong