Kampong Glam und Golden Mile
Kampong Glam ist der Stadtbezirk mit einer langen Geschichte in Singapore. Denn hier wird das muslimische Erbe der frühen Bewohner der Insel sichtbar. Als Raffles mit den regierenden Sultanaten den Vertrag zum Aufbau des Handelspostens abgeschlossen hat, zog die Sultansfamilie in dieses Viertel und baute neben dem Familiensitz auch eine wichtige Moschee. Wer sich übrigens fragt, warum die damaligen Herrscher so schnell und einfach ihr Land hergaben, der braucht sich nur die kleinen Hinweise der Geschichte anschauen, denn bezahlt wurde der Bau der Gebäude durch die Briten. Auch die regelmäßige Zahlung an die Herrscherfamilie zeigt sehr deutlich die Motivation des Sultans. Viele Jahrzehnte gab es Streit in den Sultanfamilien wegen des Besitzes und der Zahlungen und der Nachfolgeregelungen. Wegen diesem Streit und weil das Gebäude des Herrschers sowieso von den Briten bezahlt worden war, sprach ein Gericht 1897 das Haus der britischen Krone zu.
Der Name des Gebiets stammt vom Wort „gelam“, was eine bestimmte Baumart bezeichnet, die hier besonders häufig zu finden war. Der Baum hat für die malayische Medizin eine große Bedeutung. Eine andere Erklärung der Namensherkunft bezieht sich auf einen an dieser Stelle siedelnden Ureinwohnerstamm.
Die heutige Masjid Sultan Moschee glänzt mit den goldenen Kuppeln über die niedrigen Häuser hinweg. Die Größe erschließt sich daraus, dass Singapore sich nicht nur zum wichtigen Handeldrehpunkt entwickelte, sondern auch weil viele muslimische Pilger aus Südostasien, die Richtung Mekka unterwegs waren, Station in Singapore machten.
Ich steuere aber das Malay Heritage Centre an, welches früher der Familiensitz des Sultans war. Dort heißt es Schuhe ausziehen und auf Strümpfen durch die Ausstellung gehen. Zunächst werden einige geografische Aspekte multimedial an einer großen Landkarte dargestellt, wie beispielsweise in früheren Jahrhunderten der Machteinfluß war. Alte Karte, vor allem aus dem Seehandel mit China oder den koreanischen Dynastien wurden dann erst durch die europäischen Seefahrernationen nach und nach verbessert und präzisiert. Die ersten Karten wurden wie Staatsgeheimnisse behandelt, damit die jeweilige konkurrierende Nation keinen Vorteil aus den Navigationinformationen erlangte. Aus der frühen Zeit (9. bis 14. Jh.) stammt auch ein kleines goldenes Kultobjekt einer Schildkröte. Man ordnet es der javanesisch-hinduistischen Gottheit „Bedawang Nala“ zu.
Für die Gültigkeit der Verträge zwischen den Sultanaten und der Briten wurde auch ein Siegel eingesetzt, welches man mit seiner ganzen Verschnörkelung sehen kann. Das Siegel gehörte Encik Bujal, dem Sohn von Sultan Hussein (ich weiß, fast alle heißen irgendwie Hussein, der volle Namen lautet Hussein Mua'zzam Shah ibni Mahmud Shah Alam), wo es ja Nachfolgestreitereien gab. Die verschiedenen Ehefrauen erhoben alle den Anspruch usw. Kennen wir ja aus anderen Regionen. Wahrscheinlich war auch der Siegelinhaber für die Engländer das Zeichen der rechtmäßigen Nachfolge, an welchen sie die Rente überweisen konnten. Die Herrscherlinie verzweigt sich Anfang des 19. Jh. In der Ausstellung wird dafür den europäischen Handelsnationen Britannien und Holland die Schuld gegeben, die um ihren eigenen Einfluss auszubauen, jeweils einen anderen Herrscher anerkannten und finanziell unterstützen. Naja, davor haben sie sich wahrscheinlich solange umgebracht, bis nur noch einer übrig war.
In der Ausstellung wird dann noch versucht, das frühere Erbe der Malayen in der Region herauszustellen. Ein paar religiöse und königliche Schriften zieht man dabei heran, die auch den hinduistischen Einfluss zwischen dem 7. und 11. Jh. zeigen. Der Einfluss des Islam nahm dann erst im 12. Jh. zu. Die Geschichte der malayischen Halbinsel wird außerdem in Schriften mit Legendenbildung ab dem 17. Jh. erzählt. Ein wichtiger Text dabei namens „Tuhfat“ beschreibt mit Referenzen auf frühere Dokumente die Geschichte ab Ende des 17. Jh.
Ausgestellte Wörterbücher von 1701 und 1736 zeigen erneut die Bedeutung dieser Bücher bei der Erforschung der Entwicklung der einheimischen Sprache. Dann wird noch ein interessantes Buch gezeigt. Es hat meine Aufmerksamkeit geweckt, da das Buch einen deutschen Titel trägt: „Skizzen aus Singapur und Djohor“. Es stammt von dem österreichischen Forschungsreisenden Eugen Freiherr von Ransonnet-Villez, der im Buch zahlreiche Zeichnungen zu Landschaften der Region veröffentlicht hat. Ein wenig weiter hängt eine Fotografie von dem Stadtbezirk Telok Blangah aus dem Jahr 1870, wo sich im Jahr 1823 die Temenggong-Herrscher-Familie angesiedelt hat (wir erinnern: die ungeklärten Machtverhältnisse ließ Raffles den Vertrag mit mehreren Herrschern unterzeichnen). Der Bezirk galt als Schwerpunkt der Kriminalität und Rückzugsort für Piraten. Andere Fotos zeigen malayische Familien und auch die Fußballmannschaft des Kota Raja Football Club von 1930. Ich hatte ja im Blogpost vom 15.3.2020 schon geschrieben, dass alte Dokumente zu Fußballregeln in malayischer Sprache im Archiv der Nationalbibliothek vorhanden sind. Im nächsten Raum befindet sich dann ein Songkok. Es ist eine traditionelle Mütze in Form eines Kegelstumpfes und wird aus Filz, Wolle oder Samt hergestellt. Er wurde im 13. Jh. zur Alltagskleidung der Männer auf der malayischen Halbinsel und den indonesischen Inseln vor allem bei Muslimen. Aber er wird vor allem als Bestandteil festlicher Bekleidung bei Hochzeitsfeiern, Beerdigungen oder bei islamischen Festen getragen.
Dann wird das Thema Pilgerfahrten thematisiert. Wie oben erwähnt war Singapore ein Hub für die Pilgerer. Ab Mitte des 19. Jh. stieg die Anzahl stetig an. Einige Pilgerer mussten für die Weiterfahrt erst hier noch das Geld verdienen, schafften es aber nicht immer und siedelten sich in Singapore an. Man nannte diese Menschen „Haji Singapura“. Die Pilgerer konnte auch nur wegen der passenden Winde je nach Monsun-Zeit ab- und anreisen. Es entwickelte sich eine große Pilgerindustrie in Kampong Glam. Sämtliche Wirtschaftaktivitäten waren darauf eingerichtet, wie die Druck- und Verlagsszene, die religiöse Schriften produzierten. Im späten 19. Jh. kamen mehr als 10.000 Pilger pro Jahr nach Singapore. Ab 1975 stiegen dann die Pilger nach und nach auf Flugzeuge um, was die Bedeutung von Singapore als Pilgerzwischenstopp verringerte. Auch wenn Pilgerreisen normalerweise den Geist und das Wissen erweitern sollen, hier hat es die meisten Menschen in eine erbärmliche Lage gebracht. Der Islam hat damit über viele Menschen viel Leid und arabischen Schleusern – Verzeihung, Pilgertourveranstaltern – eine Menge Geld gebracht.
Das Leben in dem Stadtbezirk war außerdem früher sehr vom Meer geprägt. An dem Mündungsgebiet des Kallang River und Rochor River konzentrierte sich der regionale Handel mit Booten, z.B. mit Indonesien.
Diese Bootsschifffahrt wurde von den Bugis dominiert. Wie archäologische Funde dokumentieren, gab es diesen Handel auch schon seit dem 17. Jh. an dieser Stelle. In einer dreidimensionalen Projektion werden alte Gebäude dargestellt. Außerdem ein Film über das Leben und der Modernisierung in den 1970/80er Jahren, leider künstlerisch und nicht dokumentarisch zugeschnitten. Apropos künstlerisch. Die großen Erfolge der Malayen in Singapore sieht man wohl vorwiegend in diesem Bereich. Schriftsteller, Kinoproduktionen und Musikaufnahmen bilden fast den einzigen Stolz der Malayen, während sich wahrscheinlich der chinesische Bevölkerungsanteil um das Geschäftsleben und den Aufbau des Landes kümmerten.
Kümmerlich dagegen fand ich den Platz, den man dem Schriftsteller Abdul Samad Ismail in der Ausstellung einräumte. Er wurde 1976 wegen seiner rassistischen Schriften sogar für fünf Jahre inhaftiert, was in der Ausstellung keine Erwähnung fand. Zum Schluss ließ ich mir noch mittels simulierter Jukebox das Lied „Di Singapura“ von der Sängerin Julia vorsingen, Text mit Übersetzung wurde eingeblendet.
Da die Malayen sich vor allem ihrer Präsenz in der künstlerischen Szene rühmen, passt auch der Besuch der Straße Haji Lane. Diese Straße ist nur 3,5 Meter breit und mit ihren bunten Häusern und Geschäftsideen für alle hippen und trendigen Touristen und Backpackern ein Treffpunkt, zum Glück erst am Abend, so dass ich am Tag gemütlich durchspazieren kann.
Nach dem bunten „Visual Orgasm“ (wie ein Tattoo-Laden in der Haji Lane hieß) musste ich erst einmal was essen und ging ins Golden Mile Food Centre, einem Hawker Centre gegenüber dem Golden Mile Komplex, was mein nächster Besuchsort werden sollte. Am Stand mit dem Werbeschild „Bavaria – Holland‘s Premium Beer“ über sein Geschäft kaufte ich den frisch-gepressten Zuckerrohrsaft und nebenan bestellte ich „Dry Ban Mian“. Ich hatte keine Ahnung, was das für ein Essen ist, aber der Hinweis „vegetarian“ ließ mich zu dieser Entscheidung kommen. Es waren dann Nudeln mit Ei und Tofu und Pilzen, die man in eine Wasser-Gewürz-Brühe mit Stäbchen tunken sollte. Die Brühe stellte ich mal gleich weg und holte mir beim Nachbarstand Löffel und Gabel. Somit war der Sättigungserfolg mit diesem Essen dann doch noch gewährleistet.
Nun geht es gegenüber zum Golden Mile Komplex. Dieses Gebäude wurde Anfang der 1970er Jahre fertiggestellt und ist wegen seiner eigentümlichen Architektur so bekannt. Auf der Nordseite ist eine gerade, fast fensterlose Fassade zu sehen, während auf der Südseite zum Meer terrassenförmige Balkone der Wohnungen angebracht sind. Das abgestufte Design reduziert auch die Auswirkungen von Straßenlärm. Im „Bauch“ des Gebäudes in den ersten drei Etagen befinden sich Geschäfte und kleine Büros, welche durch das Design auch mit etwas Tageslicht versorgt werden. Darüber liegen dann die Wohnungen mit den attraktiven Terrassen und in den beiden obersten Etagen befinden sich zweistöckige Penthousewohnungen. Der Golden Mile Komplex hat sich zum Zentrum der thailändischen Einwohner von Singapore entwickelt. Neben einem großen Supermarkt mit thailändischen Produkten und verschiedenen Restaurants gibt es auch thailändische Kleidungsgeschäfte, Massagestände, religiöse Zubehörgeschäfte und thailändische Clubs sowie zahlreiche Busreiseunternehmen. Aufgrund des Alters des Gebäudes und fehlender Modernisierungsmaßnahmen wirkt alles sehr abgewirtschaftet und etwas schmuddelig. Vor dem Shoppingcenter in der Nähe des Taxistandes ist ein thailändischer buddhistischer Altar aufgebaut. Der Komplex wird durch ein benachbartes Shoppingcenter ergänzt, dem Golden Mile Tower, der aber genauso düster und abgewirtschaftet ist. In der Öffentlichkeit wird der Golden Mile Komplex entweder als Schandfleck in Singapore oder als kulturelles wichtiges Erbe wegen seiner eigentümlichen Architektur bezeichnet.
Ich mache mir jedenfalls die Mühe und laufe um den ganzen Komplex herum, an dem Nicoll-Highway entlang, um einen Blick auf die Terrassen zu werfen. Viele der Bewohner haben durch Glasbauten auf der Terrasse ein Zimmer für ihre Wohnungen hinzugefügt. Es ist ein ziemlich bunter Mix auf der Terrassenseite. Wie sich der Komplex entwickeln wird, muss man abwarten. Die daneben gebauten modernen Geschäfts- und Einkaufszentren lassen Golden Mile jedenfalls sehr alt aussehen.
Hier die Eindrücke vom Kampong Glam und Golden Mile: Kampong Glam