Abschied von Singapore


Meine Vorahnungen haben mich nicht getäuscht. Aufgrund der Entwicklungen zur Ausbreitung des Coronavirus in Singapore wurden hier strenge Maßnahmen ergriffen, die es mir nicht mehr ermöglichen Touren zu machen, historische Orte, Museen, Ausstellungen oder Veranstaltungen zu besuchen.
Singapore war mit seiner Methode der Clusteridentifizierung und Stay-Home-Verordnungen an mögliche Kontaktpersonen im Kampf gegen das Virus lange Zeit sehr erfolgreich. Am 20.März waren von den 40 Neuinfizierten 30 Fälle importiert und bestätigten den Trend, dass die meisten Neuinfektionen aus dem Ausland nach Singapore durch Einreisende kamen. Daraufhin erließ die Regierung am 22.März ein generelles Einreise- und Durchreiseverbot für Kurzaufenthalte (also Touristen), gültig ab 24.März. Später kam eine Abstandsregelung hinzu, welche beispielsweise jeden zweiten Platz in Cafes und Restaurants sperrte. Lange Zeit haben diese moderaten Maßnahmen zur Eindämmung des Coronavirus in Singapore gewirkt. Viele Menschen nutzten schon zu einer Zeit ohne staatliche Verordnung Schutzmasken. Mittlerweile gilt schon seit längerer Zeit eine Maskenpflicht in der Öffentlichkeit. Jeder Einwohner hat von der Regierung eine wiederverwendbare Stoffmaske geschenkt bekommen.
Allerdings verschärfte dann die Regierung die Maßnahmen erheblich, als eine Clusteridentifizierung (also der Ort der Ansteckung) immer weniger bei den Neuinfektionen ausgemacht werden konnte. Seit dem 7. April gilt ein weitreichendes Ausgehverbot. Nicht wesentlich notwendige Geschäfte und Betriebe wurden geschlossen. Der Erfolg der Maßnahmen war die Halbierung der einheimischen Neuinfektionen von zuvor 40 Fällen pro Tag nach drei Wochen der harten einschränkenden Maßnahmen. Trotzdem wollte die Regierung die Neuinfektionen auf einen täglichen einstelligen Wert drücken, was für mich als ein sehr schwer erreichbares Ziel erscheint. Die Maßnahmen wurden bis zum 1. Juni verlängert und werden dann wahrscheinlich noch länger gehen. Somit macht ein weiterer Aufenthalt keinen Sinn, da ich die ganze Zeit an meine Wohnung gebunden bin und nur zum Essenholen oder Lebensmittelkauf rausgehen darf. Für Bewegung und sportliche Aktivitäten bin ich an örtliche Nähe gebunden.

Eines wurde aber in Singapore vergessen: das soziale Leben der Gastarbeiter. Mehrere zehntausend Gastarbeiter aus Pakistan, Bangladesh und Indien führen in Singapore tagtäglich die Arbeiten aus, zu denen Einheimische sich längst zu Schade sind. Man kann das mit den Erntehelfern aus Osteuropa in Deutschland vergleichen. Hier in Singapore arbeiten diese Gastarbeiter auf Baustellen, in Werften, als Gärtner der HDB-Anlagen, als Reinigungskräfte und Straßenbauarbeiter. Da die Mietpreise für Wohnungen in ganz Singapore sehr hoch sind, wohnen diese Arbeiter in großen Wohnheimen; viele tausende Arbeiter in Mehrbettzimmern, Gemeinschaftsküchen und Gemeinschaftstoiletten.
Es ist also kein Wunder, dass mittlerweile in diesen Wohnheimen und unter den Gastarbeitern das Virus geradezu wütet. Mehrere Anlagen mit tausenden Arbeitern sind unter Quarantäne gestellt. Die Armee hat freie Kasernenkapazitäten für die Isolation im Kampf gegen die Ausbreitung des Virus zur Verfügung gestellt. Ganze Horden an medizinischem Personal konzentriert sich auf die Wohnheime. Gigantische Mengen an Essenzubereitungen werden von der Regierung bereit gestellt, damit die Gemeinschaftsküchen wegen der Ansteckungsgefahr nicht genutzt werden. Trotzdem gräbt sich der Virus durch die Gastarbeiterwohnheime und lässt die Infiziertenzahlen durch die Decke knallen. Die gigantischen Zahlen kommen zwar von der Steigerung der Tests und die medizinische Belastung ist nicht wesentlich hoch, weil es sich fast nur um junge gesunde Männer handelt und der Krankheitsverlauf nur milde ist. Viele Infizierte zeigen überhaupt keine Symptome und wären im Normalfall gar nicht als Infizierte erfasst worden. Aber es belastet doch die Diskussion um die strengen Maßnahmen und es zwingt mich meine Reise nach Singapore an dieser Stelle abzubrechen.
Der Wohlstand von Singapore ruht zu einem beträchtlichen Teil auf diese Billiglohnarbeitskräfte, nun verzehren diese das Vermögen um ein großes Stück wieder, weil sie die Coronaviruskrise in Singapore in eine wirtschaftliche Krise verwandelt haben.

Einen interessanten Bericht über die Situation in Singapore veröffentlichte die NZZ. Weil die NZZ Zugangsbeschränkungen zu Artikeln hat, habe ich den Bericht ausgedruckt und weiter unten abgebildet.

Im Kampf gegen das Coronavirus ist Hongkong und Südkorea ein Beispiel dafür, wie eine erfolgreiche Strategie bis zu diesem Zeitpunkt aussehen kann. Sollte es in den nächsten Monaten gelingen, einen Impfstoff zu entwickeln, kann sich diese Strategie auszahlen: TODAY