From Third World to First: China
In seinem zweitem Teil seiner Memoiren “From Third World to First” schreibt Lee Kuan Yew auf fast neunzig Seiten über die Beziehung zu und die Entwicklung von China. Dabei fällt auf, dass ihn eine Annäherung an China wegen seiner Erfahrungen zu Unruhen und Gewalt der chinesischstämmigen Kommunisten in Singapore schwer fällt, andererseits ihm der Kontakt wegen seiner eigenen chinesischen Abstammung wichtig ist und er ein großes Interesse an der Entwicklung Chinas hat. Besonders nach der wirtschaftlichen Öffnung des Landes und der Beendigung der aggressiven Politik Maos sieht er China mehr und mehr auch als ein politischer Stabilitätsfaktor in der Region, nicht nur als Gegenpol zum kommunistischen Machtstreben der Sowjetunion.
Die wirtschaftliche Schwäche des Sozialismus mit all den beschönigenden Propagandagetöse im maoistischen China beschreibt Lee aus den Erfahrungen seiner frühen Chinareisen. Die von den Sozialisten dargestellte wirtschaftlichen Höchstleistungen waren meistens nur eine Propagandafassade, die die Mängel und Schwächen verdecken sollten. So gab es in Dazhai ein landwirtschaftliches Musterprojekt der sozialistischen Regierung, welches bis heute sehr umstritten ist. Ähnlich wie in der DDR wurden hier spezielle Bedingungen geschaffen und die damit erzielten Ergebnisse als Normalität hingestellt. Lee schreibt: “Ten years later, they disclosed that Dazhai was a fraud. Its higher outputs were due to special inputs that made its agricultural yield so high. In the Daqing oilfields the model workers did not extract the maximum from the ground because of poor technology, and their yields were going down. Revolutionary fervor could not make up for expertise, whether in agriculture or in mining. The belief in the Mao era, «Better Red than Expert», was a fallacy, a fraud practiced on the people.”
Die grausame Zeit der Kulturrevolution, in der führende kommunistische Kader rund um die Frau von Mao (Viererbande) ideologisch eine Führungsrolle hatten, wurde bei einer Chinareise von Lee Kuan Yew noch einmal ein Thema, als gerade zu dieser Zeit die Gerichtsverhandlung gegen die “Viererbande” im Gange war: “For the rest of our journey, the Gang of Four and their evil deeds were subjects of innumerable coversations between the Chinese officials and members of our party. Some had sad stories to tell of their experiences. It was frightening that an ancient civilization could be reduced to such madness. Proudly referred to then as the Cultural Revolution.”
Erst mit Deng Xiaoping wandelte sich nicht nur die chinesische Wirtschaftsstärke und das politische Klima, sondern Deng Xiaoping war auch ein politischer Führer - anders im Auftreten und Charakter als die bisherigen kommunistischen Kader. Lee über die Begegnung mit Deng: “He knew that I had spoken the truth. Abruptly, he asked, «What do you want me to do?» I was astonished. I had never met a communist leader who was prepared to depart from his brief when confronted with reality, much less ask what I wanted him to do... He was the most impressive leader I had met. He was a five-footer, bur a giant among men. At 74, when he was faced with an unpleasant truth, he was prepared to change his mind.”
Und Deng war so schlau, dass er sich gute wirtschaftliche Modelle anschaute, von diesen lernte und die guten Ideen in China übernahm. So galt Singapore als Musterbeispiel für gute Wirtschaftspolitik: “Their view of Singapore changed further in October the following year, 1979, when Deng said in a speech, «I went to Singapore to study how they utilised foreign capital. Singapore benefited from factories set up by foreigners in Singapore: first, foreign enterprises paid 35 percent of their net profits in taxes which went to the state; second, labour income went to the workers; and third, it [foreign investment] generated the service sectors. All these were income [for the state].» What he saw in Singapore in 1978 had become a point of reference as the minimum the Chinese people should achieve.” Somit kann man mit Recht behaupten, dass die heute erfolgreiche Wirtschaftsentwicklung in China zu einem großen Teil auf das Vorbild Singapore beruht.
Das Auftreten Chinas gegenüber seinen Nachbarn hat sich auch geändert, von einer destabilisierenden zu einer stabilisierenden Wirkung. Lee schreibt zum Wandel in China: “China’s leaders were conscious of having lost a generation because of the Cultural Revolution. They had turned away from Mao’s belief in perpetual revolution. They wanted stable relations with other countries to get economic cooperation and help China recover. I thought it unlikely that there would be a modern China for another generation.”
Allerdings hatten die Reformen Dengs auch negative Folgen. Besonders die Dezentralisierung brachte regionalen kommunistischen Führer mehr Macht, was dann zu mehr Korruption führte. Lee schreibt: “Maoist China was fading into history. The old habits of the Chinese would return; a few good ones, and more than a few bad ones, as we were to discover on my next visit in 1985 - growing corruption, nepotism, and favoritism, the ills that have always beset China.”
Und dann kamen 1989 die gewaltätigen Zusammenstöße von Studenten und den chinesischen Ordnungskräften auf bzw. um den Tiananmen-Platz in Peking. Die Ereignisse dieser Tage werden recht unterschiedlich bewertet und gesehen. Ich persönlich kann weder die westliche Sicht noch die chinesische Sicht auf die Ereignisse vollkommen teilen, sondern finde eine differenzierte Betrachtung angebracht. Lee geht auf die Ereignisse ein und erwähnt dabei ein Gespräch mit dem chinesischen Minister Hu Ping. In diesem Gespräch wurden meiner Meinung nach von der chinesischen Seite ganz wichtige Hinweise deutlich, warum es zu der Gewalt kam: “During the 40 to 50 days of turmoil, China had lost control of the situation. The students had used the problems of corruption and inflation to rally people to their cause. Their police lacked experience and were not able to deal with such demonstrations as they did not have water cannons and other riot control equipment.” Die mangelnde Ausrüstung der Polizei hat schließlich die politischen Führer dazu bewogen, chinesische Militärkräfte hinzuzuziehen, was wiederum die Protestierenden erzürnte. Die Gewalt schaukelte sich hoch. Bei allen Fehlern der chinesischen Führung, die 1989 gemacht wurden, sollte man sich hüten allein westliche Moralvorstellungen an die Ereignisse anzusetzen. Der chinesische Präsident Jiang Zemin äußerte sich dazu 1990 gegenüber Lee Kuan Yew: “He could accept that there were different views, but not that only one view was correct. There was nothing absolute in these concepts of democracy, freedom, and human rights... There was no such thing as freedom of the press. Western newspapers belonged to and were controlled by various financial groups.” Man kann heute sogar noch einen Schritt weiter analysieren und feststellen, dass in der westlichen Welt ein moralischer Mainstream etabliert wird, dem alle großen Medienkonzerne bereitwillig und unkritisch folgen. Dabei bekommen eben auch keine kritischen Beiträge mehr einen breiten öffentlichen Raum und lassen die theoretisch angedachte Kontrollfunktion der Medien in einer Demokratie verblassen. Deshalb ist eine die einseitige westliche Sichtweise arrogant und unangemessen.
Welche bemerkenswerten Wandel China hingelegt hat, nicht nur wirtschaftlich sondern auch im politischen Denken der kommunistischen Führer zeigt diese Aussage Jiang Zemins aus dem Jahr 1993: “Jiang said China’s policy was to learn from various countries and pick up their strong points, not only in know-how, science, and technology but also in cultural experience.” Eine Einstellung, die man sich von so manchen westlichen Regierungschef wünscht, aber vergeblich suchen wird. Das macht China so stark und wird es in Zukunft auch noch stärker machen.