From Third World to First: Die Positionierung beim Konflikt von Kambodscha und Vietnam

Eine Ansicht von Lee Kuan Yew habe ich zunächst nicht verstanden, weil mir dazu in seinem Memoiren erklärende Erläuterungen fehlten. Seine tief-sitzende Abneigung gegenüber Vietnam ist sicherlich nur aus der verächtlichen und herabwürdigenden Art zu begreifen, die die kommunistischen Führer Vietnams gegenüber Singapore zum Ausdruck brachten. Klar, die von der Sowjetunion subventionierten Vietnamesen stellten in der Region eine Bedrohung dar, da kommunistische Guerillabewegungen Gewalt und Unruhen mit vielen Opfern in den 50er und 60er Jahren ausübten und man diese kommunistischen Terroraktionen nur mit Mühe bekämpfen konnte. Deshalb kann man glaube ich diese Abneigung gegen das kommunistische Vietnam mit deren brutalen Vorgehen in Südvietnam begründen. Tausende Menschen wurden nach dem Sieg der Kommunisten und dem Abzug der amerikanischen Truppen interniert, gefoltert, vergewaltigt und ermordet. Über eine Million Vietnamesen flüchteten von dieser kommunistischen Terrorherrschaft in Booten über das Meer. Die katastrophalen Auswirkungen für ganz Südostasien kommen bei Lee erst im Kapitel zu den australischen Beziehungen vor und da insbesondere beim Konflik mit dem ehemaligen australischen Premierminister Gough Whitlam.
Die Positionierung gegen Vietnam war von Singapore und Lee Kuan Yew so unglaublich hartnäckig und bedingungslos, dass mich diese Einstellung fast schon verblüfft. Lee ist bei anderen politischen Fragen der Region und der Welt sonst immer abwägend, differenzierend und pragmatisch und nie so einseitig absolut. Das brutale Vorgehen von Indonesien in Osttimor oder der Roten Khmer in Kambodscha ließ im Buch nicht eine solche Abneigung aufblitzen, wie es gegen Vietnam der Fall war. Ich glaube auch nicht, dass er die Feindschaft von China zu Vietnam wegen seiner chinesischen Abstammung adoptierte. Vielmehr vermute ich die große Abneigung gegenüber Vietnam im arroganten Verhalten der vietnamesischen kommunistischen Politiker gegenüber Singapore und Lee Kuan Yew persönlich. Vietnam nahm Singapore übel, dass große amerikanische Firmen von dort ihre Güter an das amerikanische Militär lieferten, was im Vietnamkrieg von Bedeutung war. Bei großen Asienreisen der verantwortlichen Politiker ignorierte man Singapore regelmäßig und sah den kleinen Stadtstaat als unbedeutenden Flecken auf der Landkarte an. Das machten die vietnamesischen Politiker Lee immer wieder mit arroganten Gehabe deutlich. Ich hätte zu den Schmähungen im Buch gern mehr Konkretes erfahren, so muss man diese an den Andeutungen von Lee herauslesen. Vielleicht hat er diese auch nicht weiter ausgeführt, weil sich die Beziehungen ab den 90er Jahren deutlich verbesserten. Mit dem Zusammenbruch der Wirtschaft Vietnams erkannten wohl die politischen Führer die Schwäche und Angreifbarkeit des Landes. Vietnam konnte ohne sowjetische Finanzhilfen noch nicht einmal überleben, was an der Hungersnot und der Wirtschaftskrise nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion deutlich wurde. Nachdem man die große USA im Vietnamkrieg besiegte und in einem Handstreich Kambodscha einnahm und auch China an der Nordgrenze nach dessen militärischem Angriff große Verluste bereitet hatte, fühlte man sich als politischer Riese. 1992 bekam diese Überheblichkeit mit dem Wegfall der sowjetischen Unterstützung und der Wirtschaftskrise starke Risse. Trotz der große Feindschaft zu den politischen Führern hielt Lee viel vom vietnamesischen Volk: “I felt that for the time being the people had lost confidence in their leaders, and the leaders had lost confidence in their system. However, they were an energetic and intelligent people, Confucianist at the grass roots. I believed they would bounce back in 20 to 30 years.” Und mittlerweile sahen auch vietnamesische Politiker, dass sie mit den Irrglauben des kommunistischen Systems das Land stark geschwächt haben: “Both Kiet [Premierminister von Vietnam - Anm. von mir] and the ex-general secretary of the Communist Party, Nguyen Van Linh, whom I met in Ho Chi Minh City, separately said they had to reeducate their cadres on the market economy and free themselves from wrong Marxist thoughts.” Der Kampf der alten kommunistischen Kader mit den Ideen einer neuen Generation von vietnamesischen Politiker hatte da gerade erst begonnen.

Zu Kambodscha empfand Lee Kuan Yew dagegen eine starke Zuneigung. Genauso wie ich bei meinem Besuch in diesem Land erlebt habe, so begegnen ihm auch die Menschen sehr herzlich und liebenswürdig. Kambodscha kann auf eine große Geschichte und eine überragende Zivilisation zurückschauen. Das Angkorreich hatte großartige Errungenschaften und einen hohen gesellschaftlichen Standard aufzuweisen. Wie es dann zu einer solchen Gräuelherrschaft der Roten Khmer in den 70er Jahren kommen konnte, bleibt wohl tief im Fundament der kommunistischen Ideologie verborgen. Das millionenfache Morden der linken Ideologen unter Pol Pot zeigt die Unmenschlichkeit der kommunistischen Ideologie, wie sie schon unter den Säuberungsaktionen Stalins in Russland und der Kulturrevolution in China sichtbar geworden ist. Das Zurückfinden in eine friedliche Gesellschaft ist nach einem solchen Massaker besonders schwer. Lee dazu: “Cambodia is like a porcelain vase that has been smashed into myriads of shards. To put them together will be a slow and laborious task. As with all mended porcelain, it cannot withstand much pressure. Pol Pot had killed 90 percent of Cambodia’s intelligentsia and trained personnel... The people of Cambodia are the losers. The country is crushed, its educated class decimated, its economy devastated.” Und so fällt auch das Urteil über die Politiker nach der Zeit der Roten Khmer weniger schmeichelhaft aus: “Its present leaders are the products of bitter, relentless struggles in which opponents were either eliminated or neutralized. They are utterly merciless and ruthless, without humane feelings. History has been cruel to the Cambodians.”
Warum Lee Kuan Yew dann mit dieser Analyse die Zusammenarbeit der von Singapore gegen die vietnamesische Besatzungsregierung kämpfenden nicht-kommunistischen Opposition mit den Roten Khmer nicht kritisiert oder eine solche Zusammenarbeit gar ablehnt, ist nur dem Hass auf die vietnamesischen Kommunisten zuzuschreiben. Auch wenn die Vietnamesen in ihrer hochmütigen Art das Land nicht befrieden sondern besetzen wollten, so beendeten sie doch die Gräuelherrschaft der Roten Khmer, die weiterhin von China finanziell und militärisch massiv unterstützt wurden. Vielleicht spielten aber noch andere persönliche Machtkämpfe zwischen den chinesischen kommunistischen Führern und den sowjetischen kommunistischen Führern eine Rolle, die mit Vietnam und Kambodscha ihr Schlachtfeld gefunden haben. In diesem Fall hätte Singapore sich aber aus diesem Konflikt heraushalten sollen, wie es sonst in anderen Konflikten eher eine neutrale und vermittelnde Rolle eingenommen hat. Vielleicht spielt aber auch eine große Rolle, dass die militärische Besetzung von Kambodscha durch Vietnam eher die Urängste des kleinen Stadtstaates Singapore vor einer Bedrohung durch Malaysia und Indonesien hervorriefen. So schreibt Lee: “We had spent much time and resources to thwart the Vietnamese in Cambodia because it was in our interests that aggression be seen not to pay.”